Europa und der Mittelmeerraum

Das traditionelle Weltbild, das überall in Europa seit Urzeiten patriarchale Verhältnisse sehen will, ist zunehmend ins Wanken geraten. Neuere Forschungen aus diversen kulturhistorischen Gebieten erweisen es als ein ideologisches Konstrukt und damit unhaltbar.

Archäologie

Wie der Pionier Heinrich Schliemann auf der Suche nach dem alten Troja die mythischen Erzählungen ernst nahm und damit erfolgreich war, so glaubte auch Sir Arthur Evans 1931, dass die Geschichten der kretischen Mythologie einen historischen Kern besäßen. Er nutzte deren Informationen und fand die Paläste der minoischen Kultur auf Kreta. Wie Evans sah Alexander Marshack 1972 eine zentrale Stellung der Frauen in den frühen Kulturen. Pierre Mohen 1989 präsentierte den großen Reichtum der Megalithkulturen in Europa, doch erst  Marija Gimbutas 1989/1991 lieferte eine umfassende Interpretation dazu. Damit  brachte sie den Durchbruch in Bezug auf eine mutterzentrierte Epoche im Alten Europa, die sie „matristisch“ nannte. Es war ein Paukenschlag in der Archäologie, obwohl matriarchale Kulturmuster in der Religionsforschung schon länger bekannt waren. Gimbutas wurde dafür von Wissenschaftler/innen, die noch immer an der Annahme festhielten, das frühe Europa sei patriarchal gewesen, heftig kritisiert. Die Anthologie von Joan Marler 1997 untermauerte die Schlussfolgerungen von Gimbutas, und 2003 wies Joan Marler die Kritiken an deren Werk zurück. Eine Kulturgeschichte zur Entstehung von egalitären („demokratischen“) Mustern in verschiedenen Gesellschaftstypen, die bis in die Gegenwart reicht und den archäologischen Rahmen damit überschreitet, wurde von R. M. Glassman 2017 vorgelegt. Heide Göttner-Abendroth 2019 beschrieb die matriarchalen Epochen in Westasien und Europa, gestützt auf eine kritische Sichtung patriarchaler Ideologie bei Archäologen und neueren archäologischen Ergebnissen,  und gab tragfähige Erklärungen für die Erntstehung von Patriarchat in diesen Kulturregionen.

 

Evans, Arthur. The Earlier Religion of Greece in the Light of Cretan Discoveries. London: Macmillan, 1931.

Auf dem Hintergrund seiner Kenntnis der Kulturgeschichte des antiken östlichen Mittelmeerraumes schloss Evans, auch ein Pionier der Archäologie, ganz allgemein auf eine weibliche Gottheit, die den höchsten Platz in der kretischen Religion eingenommen hatte, ebenso wie es für Göttinnen in Anatolien, Palästina und Syrien üblich war. Evans dokumentierte erstmals die minoische Kultur als frauenzentriert und bewies ihre anhaltende Macht rund um das östliche Mittelmeer, wobei er noch von dem zentralen Königtum eines „Minos“ ausging.

 

Alexander Marsh ack: The Roots of Civilization, New York 1972, McGraw-Hill, S. 90.

Marshack wies auf die zentrale Stellung der Frauen in den frühen. Kulturen seit der Altsteinzeit hin und untersuchte die verschiedenen Aspekte.

 

Jean-Pierre Mohen: Megalithkultur in Europa, Stuttgart-Zürich: Belser Verlag, 1989 (Original in Französisch,1989).

In diesem Werk stellte Mohen den außerordentlichen Formenreichtum der europäischen Megalithkulturen der Jungstein- und Bronzezeit dar, ohne jedoch die soziale und religiöse Bedeutungen zu thematisieren.

 

Gimbutas, Marija. Die Zivilisation der Göttin. Die Welt des Alten Europa. Frankfurt: Zweitausendeins Verlag, 1996 (Original in Englisch, 1991).

In diesem umfassenden Werk präsentierte die Archäologin Gimbutas die verschiedenen neolithischen Kulturregionen Alt-Europas und dokumentierte insbesondere die bis dahin wenig bekannten, reichen Stadtkulturen Südost-Europas. Sie bezeichnete die soziale Ordnung als mutterzentriert oder „matristisch“ und die religiöse Ordnung als sakral, geprägt von Göttinnen und Priesterinnen. Damit eröffnete sie in der Archäologie die neue Perspektive auf eine allgemeine, mutterzentrierte Epoche vor der Entstehung von Patriarchat, was ihr von Fachkollegen heftige Kritik einbrachte.

 

Marler, Joan (Hg.): From the Realm of the Ancestors: An Anthology in Honor of Marija Gimbutas. Manchester: Knowledge, Ideas & Trends, 1997.

Marlers Sammlung von wissenschaftlichen Arbeiten aus verschiedenen sozio-kulturellen Fachgebieten unterstützte Gimbutas Theorie der kulturellen Entwicklung von Alt-Europa.

 

Marler, Joan. „Der Mythos vom ewigen Patriarchat. Eine kritische Antwort“. In: Autorinnengemeinschaft: Die Diskriminierung der Matriarchatsforschung. Bern: Edition Amalia, 2003 (In Englisch 2005).

Marler analysierte die Kritik an Gimbutas und wies sie grundsätzlich zurück am Beispiel des Pamphlets von Cynthia Eller: Der Mythos von der matriarchalen Frühgeschichte.

 

R. M. Glassman: The Origins of Democracy in Tribes, City-States and Nation-States, Cham/Schweiz: Springer International Publishing AG, 2017.

Glassman ging dem Beginn und der Weiterentwicklung egalitärer Muster in verschiedenen Gesellschaftypen nach, wie Stämmen, Stadtsaaten und Nationen, wobei der Begriff „Demokratie“ nur bedingt auf alle angewendet werden kann, da egalitäre Muster den späteren demokratischen nicht gleichen. Er bezog teilweise die Situation von Frauen mit ein, ohne jedoch von Frauen geprägte Kulturen als eigene Sozialordnungen zu erkennen. Dennoch enthält das Werk interessante Perspektiven, welche die Verherrlichung klassischer Siegermächte unterlaufen.

 

Göttner-Abendroth, Heide. Geschichte der matriarchale Gesellschaften und Entstehung des Patriarchats.

Band III: Westasien und Europa. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2019.

Göttner-Abendroth schrieb die Kulturgeschichte Westasiens und Europas aus einer matriarchalen Perspektive neu. Sie gab neue Interpretationen archäologischer Fundstätten und stellte die egalitären matriarchalen Gesellschaften, anhand archäologische Belege und durch Vergleich mit lebenden Gesellschaften dieses Typs, mit ihren ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Mustern dar. Sie gab genaue, archäologisch abgestützte Erklärungen für die Entstehung von Patriarchat in Westasien und Europa, die in den verschiedenen Kulturregionen verschieden verlaufen ist.

 

Zu besonderen Regionen:

Griechenland, Süddeutschland, minoisches Kreta, etruskisches Italien

Kritische Archäolog/innen haben sich anhand von speziellen Untersuchungen zunehmend von der Auffassung von „Eliten“ und „Hierarchie“ im Neolithikum Europas abgewandt. So kritisierte Stella Souvatzi 2007 an einem Beispiel aus Griechenland grundsätzlich die Verwechslung von größerer Komplexität mit Hierarchie in der Archäologie. Helmut Schlichtherle 2010 und 2014 belegte anhand eines neuen Fundes vom Bodensee egalitäre, mutterzentrierte Muster in Süddeutschland und darüber hinaus. Zur minoischen Kultur auf Kreta entwickelte sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine kritische Diskussion, die das herkömmliche Bild vom zentralen Königtum eines „Minos“ und seiner „Seeherrschaft“ in der Bronzezeit, das Evans geprägt hatte, revidierte. So wies Peter M. Warren bereits 1972 darauf hin, dass die bronzezeitliche Gesellschaft Kretas egalitär war. Thomas F. Strasser 1997 belegte anhand neuer Untersuchungen, dass es keine Zentralisierung von Gütern in den sogenannten „Königspalästen“ gab. Dies bestätigte Yannis Hamilakis 2001, der aufzeigte, dass die Güter der materiellen Kultur im Umlauf waren und nicht von „Eliten“ gehortet wurden. Ilse Schoep 2001 kritisierte ebenfalls die Zentralismus-Hypothese und wies nach, dass stattdessen regionale Unabhängigkeit bestand, wobei sie 2002 hier „Parteien“ als Gruppen im Spiel sah, die untereinander in Konkurrenz standen. Jan Driessen/H. Fiasse 2011 konzentrierten sich auf den Nachweis von matrilokalen Sippenhaushalten im minoischen Kreta. Joan Marie Cichon 2013 arbeitete die egalitäre matriarchalen Struktur der Gesellschaft im minoischen Kreta heraus, indem sie sich auf die moderne Matriarchatsforschung stützte. In Bezug auf das etruskische Italien dokumentierte L. Bonfante 1990 die hohe gesellschaftliche Stellung der Frau in dieser Gesellschaft, und Leonie C. Koch 2012 bezweifelte grundsätzlich ein hierarchisches System in der etruskischen Sozialordnung.

 

Souvatzi, Stella. “Social complexity is not the same as hierarchy”. In: S. E. Kohring/S. Wynne-Jones Hrsg.: Socialising Complexity. Structure, Interaction, and Power in Archaeological Discourse, Oxford: Oxbow Books, 2007.

Anhand ihrer archäologischen Arbeit zur Fundsstätte Dimini (Ostgriechenland), wo sie keine herrschende „Elite“ feststellte, kritisierte Souvatzi die weitverbreitete Auffassung, dass größere Komplexität sofort hierarchische Organisation bedeutet. Sie wies nach, dass ökonomische Differenzierung und Spezialisierung nicht gleichzusetzen sind mit sozialer Differenzierung, Ungleichheit und politischer Zentralisierung.

 

Schlichtherle, Helmut: „Kultbilder in den Pfahlbauten des Bodensees“, in: Jungsteinzeit im Umbruch. Die „Michelsberger Kultur“ und Mitteleuropa vor 6.000 Jahren. Karlsruhe: Badisches Landesmuseum, 2010.

Schlichtherle, Helmut: „Weibliche Symbolik auf Hauswänden und Keramikgefäßen: Spuren frauenzentrierter Kulte in der Jungsteinzeit?“, in: Röder, Brigitte, Hg.: Ich Mann. Du Frau. Feste Rollen seit Urzeiten? Freiburg-Berlin: Rombach Verlag, 2014.

Der Archäologe Schlichtherle präsentierte in diesen Artikeln seinen äußerst interessanten Fund von einem neolithischen Wandgemälde aus einer Pfahlbausiedlung am Bodensee: der „Mütterwand“.

Er bezeichnete die dargestellten Figuren zu Recht als Ahnfrauen, als Ur-Mütter, die am Anfang der Sippen stehen, die in der Mutterlinie organisiert waren. Die gleiche Größe der Figuren von diesem Ahninnen-Kulthaus belegt eine egalitäre, mutterzentrierte Gesellschaft. Schlichtherle wies auf Fragmente mit ähnlicher Symbolik hin, die in Süddeutschland weit verbreitet sind.

 

Warren, Peter M. Myrtos: An Early Bronze Age Settlement in Crete. London: Thames and Hudson, 1972.

Am Beispiel der sozialen Organisation von Myrtos zeigte Warren, dass die bronzezeitliche Gesellschaft Kretas egalitär war, denn die großen Gebäude waren Sippenhäuser und die aufwändigen Grabbauten stellten Gemeinschaftsgräber dar.

 

Strasser, Thomas F. “Storage and States in Prehistoric Crete: The Function of the Koulouras in the First Minoan Palaces”. In: Journal of Mediterranean Archaeology, Nr. 10 (1), 1997.

Strasser wies darauf hin, dass keine großen Vorratsräume in den sog. „Königspalästen“ gefunden werden konnten, wo Tribut gehortet worden wäre, die Speicher waren eher klein. Auch das erlesene Keramik-Kunsthandwerk als sog. „Exportschlager“, wodurch sich die „Elite“ in Knossos bereichert hätte, war keineswegs zentralisiert, sondern wurde von Künstlerinnen in Südkreta hergestellt und fand sich über die ganze Insel verteilt.

 

Hamilakis, Yannis. “Too Many Chiefs ?” In: Jan Driessen/Ilse Schoep/Robert Laffineur, Hrsg.: Aegaeum 23: Monuments of Minos: Rethinking the Minoan Palaces, Louvain-la-Neuve/Belgien: Université Catholique de Louvain, 2001.

Hamilakis bestätigte, dass auch die anderen Güter der materiellen Kultur des minoischen Kreta in Umlauf waren, denn man fand auch solche aus dem Seehandel in allgemeiner Verbreitung vor.

Das heißt, es gab keine Eliten, die exotischen Luxusgüter für sich behielten und horteten.

 

Ilse Schoep: “The State of Minoan Palaces or the Minoan Palace State?” In: Jan Driessen/Ilse Schoep/Robert Laffineur, Hrsg.: Aegaeum 23: Monuments of Minos: Rethinking the Minoan Palaces, Louvain-la-Neuve/Belgien: Université Catholique de Louvain, 2001.

Schoep argumentierte, dass es in der minoischen Kultur keinen „Palast-Staat“ gab und keine politischen Zentren zu erkennen sind. Die Architektur, Siedlungsmuster und Administration im sog. „Hinterland“ der Paläste zeigen, dass es jede Menge regionale Unabhängigkeit und Autonomie gab. Die kretischen „Kolonien“ auf den ägäischen Inseln waren auch keine militärischen Stützpunkte, sondern Handelsniederlassungen.

 

Schoep, Ilse. “Social and Political Organization on Crete in the Proto-Palatial Period: The Case of Middle Minoan II Malia”, in: Journal of Mediterranean Archaeology, Nr. 15, 2002.

Trotz ihrer hervorragenden Kritik an der Machtkonstellation, die in der Zentralismus-Hypothese für Kreta angenommen wurde, interpretierte Schoep hier „Parteien“ hinein als Gruppen, die untereinander konkurrierten, so dass angeblich „komplexe Machtverhältnisse“ bestanden.

 

Driessen, Jan/Fiasse, H. “‘Burning down the House:' Defining the Household of Quartier Nu at Malia Using GIS”. In: Kevin T. Glowacki/Natalia Vogelkoff-Brogan (Hg.): Stega: the Archaeology of Houses and Households in Ancient Crete, Hesperia Supplement 44, Princeton NJ: American School of Classical Studies at Athens, 2011.

Am Beispiel des „Quartiers Nu“, einem Gebäudeblock in Mallia / Kreta, das eine enge Verbindung der Wohneinheiten zeigt, mit einer einzigen Küche und einen zentralen Ritualplatz, wiesen Driessen und Fiasse nach, dass es die Residenz eines matrilokalen Clans war. Denn es wurde mehrfach belegt, dass matrilokale Gesellschaften erheblich größere Gebäude haben als patrilokale, nämlich Sippenhäuser statt Familienhäusern.

 

Cichon, Joan Marie. Matriarchy in Minoan Crete: A Perspective from Archaeomythology and Modern Matriarchal Studies, San Francisco: California Institute of Integral Studies, 2013, (noch unveröffentlicht).

In dieser wichtigen Studie untersuchte Cichon, auf dem Boden der neueren Literatur zu Kreta und gestützt auf die moderne Definition von „Matriarchat“, die minoische Kultur auf ihre matriarchalen Eigenschaften hin. Sie arbeitete diese auf den Ebenen von Ökonomie, Sozialordnung, Politik und Kultur heraus und belegte damit im Detail, dass Kreta bis in die Bronzezeit eine egalitäre matriarchale Gesellschaft war, die nicht auf Machtverhältnissen, sondern auf Konsens beruhte.

 

Bonfante, L. “Etruscan”. In: L. Bonfante: Reading the Past, London: British Museum Press, 1990.

Bonfante analysierte die Grabgemälde der etruskischen Kultur, die das völlig freie Auftreten der Frau in der Öffentlichkeit zeigen und ihre hohe gesellschaftliche Stellung dokumentieren. Daraus schloss er auf eine egalitäre und partnerschaftliche Beziehung der Geschlechter.

 

Koch, Leonie C. „Die Frauen von Veji – gegliederte Gesellschaft oder befreundete Gemeinschaft?“

In: T. L. Kienlin/A. Zimmermann, Hrsg.: Beyond Elites. Alternatives to Hierarchical Systems in Modelling Social Formations, Bd. 2, Bonn: Rudolf Habelt Verlag, 2012.

Koch bezweifelte grundsätzlich, dass die Etrusker eine hierarchische Gesellschaft mit „Eliten“ und „Abhängigen“ besessen hätten. Sie zeigte, dass die Priester und Priesterinnen, Beamten, Baumeister und Ingenieure sehr angesehenen waren, ebenso die handwerklichen Spezialisten in der Schmiedekunst und die gleich geachteten Spezialistinnen in der Kunst der Keramik- und Textilherstellung.

Mythologie-, Symbol- und Religionsforschung

Mythologie und Religion

Frühe Autor/innen zur Mythologie

In der Mythologie- und Religionsforschung tauchte der Gedanke an matriarchale Gesellschaften mit der Verehrung von Göttinnen schon sehr früh auf. So beschrieb James Georg Frazer schon 1890 ein Grundmuster archaischer Religionen, das Muster von der kosmischen Göttin und ihrem sterblichen König. Jane Ellen Harrison 1908 konzentrierte sich auf das Göttinnen-Muster, die bei Frazer zu kurz kam, und ordnete es klar matriarchalen Gesellschaften zu. Beeinflusst von Frazer und Harrison ging Robert von Ranke-Graves 1955 den Quellen der griechischen Mythologie nach, um die älteren, matriarchalen Schichten freizulegen. Edwin O. James 1959 führte die Göttinnenforschung fort und erweiterte sie um den westasiatischen Kulturraum bis Indien (siehe unter Westasien – Mythologie- und Religionsforschung). Marie König 1973 widmete sich der Erforschung altsteinzeitlicher Symbolsysteme und ihres religiösen Gehalts.

 

Frazer, James George. „ Der goldene Zweig“, 2 Bde., Frankfurt: Ullstein Verlag, 1977 (Original in Englisch, 1890).

Anhand von reichem Material aus der Mythologie und Ethnologie fand Frazer ein Grundmuster archaischer Religionen heraus: das weltweit verbreitete Muster von der Göttin und ihrem Heiligen König, das in jahreszeitlichen Festen seinen rituellen Ausdruck fand. Jedoch krankt das Werk, das sehr einflussreich war, an der Einseitigkeit, dass Frazer sich nur mit der männlichen Seite dieses Musters beschäftigte.

 

Harrison, Jane Ellen. Prolegomena to the Study of Greek Religion, and Themis. New York: University Books Inc., 1962 (zuerst 1908 publiziert).

Harrison erörterte das Thema der Religion im Mittelmeerraum und deutete auf ältere Kulturen hin, die auf der Verehrung der Göttin beruhten. Als erste wies sie darauf hin, dass die griechische Kultur kein monolithischer Block war, sondern eine Fülle von Mustern vorausgegangener, matriarchaler Kulturen enthielt, die durch die Analyse der griechischen Mythologie entdeckt werden konnten.

 

Ranke-Graves, Robert von: Griechische Mythologie. Quellen und Deutung, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1994 (Original in Englisch, 1955).

Ranke-Graves analysierte die griechische Mythologie auf dem Boden der Quellen und streifte ihre späteren patriarchalen Schichten ab, um ältere matriarchale Schichten freizulegen, die er offen so benannte. Er las Mythologie unter sozialpolitischer Perspektive und konnte deshalb nicht nur die ursprüngliche matriarchale Weltanschauung zu entdecken, sondern auch, in welcher Weise diese Kulturen durch die späteren, patriarchalen Hellenen, zerstört wurden. Sein Werk beeinflusste die Göttinnenforschung und die feministischen Kultur-Bewegung Mitte des 20. Jahrhunderts stark.

 

Koenig, Marie E. P. Am Anfang der Kultur. Die Zeichensprache des frühen Menschen. Berlin: Gebr. Mann Verlag, 1973.

In ihrem Werk widmete sich die Prähistorikerin und Höhlenforscherin Koenig der Entschlüsselung der symbolischen Systeme des Eiszeitalters, die sowohl in den Wohnhöhlen als auch in den Ritualhöhlen von Zentraleuropa zu finden sind. Sie interpretierte die religiöse Weltanschauung der paläolithischen Menschen auf eine Weise, die das Bild der Eiszeit mit dem „Mann, dem Jäger“ als einzigen Schöpfer der altsteinzeitlichen Kultur über Bord warf.

 

Neuere Autor/innen zur Mythologie

Heide Göttner-Abendroth 1980/2011 gab eine strukturelle Darstellung der matriarchalen Mythologie und zeigte, dass diese Muster in den sog. „Märchen“ und der Literatur der Mittelalters weiterwirkten. Marija Gimbutas 1989 entschlüsselte die jungsteinzeitliche Symbolik und das religiöse Weltbild der neolithischen Epoche anhand von Tausenden Figurinen. Miriam Robbins Dexter 1990 präsentierte die originalen Quellen hinsichtlich der Göttinnen von Indien über Westasien bis Europa (siehe unter Westasien – Mythologie- und Religionsforschung), und 1999 führte sie die Verbindung neolithischer Symbolik zu späteren Göttinnen-Kulten aus. Weiter nördlich betrachtete Kaarina Kailo 2001, 2009 die finnisch-ugrische Kultur und identifizierte matriarchale Muster, während Rauna Kuokkanen 2009 die Rolle der Frauen in der Schenke-Ökonomie bei den Samen („Lappländer“) untersuchte. Annine van der Meer 2015 erstellte eine Typologie der Haltungen von neolithischen Figurinen.

 

Göttner-Abendroth, Heide. Die Göttin und ihr Heros. Die matriarchalen Religionen in Mythen, Märchen, Dichtung, Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2011, erweiterte Neuerscheinung (zuerst: München 1980). (In Englisch, 1995.)

In Anlehnung an Ranke-Graves und James stellte Göttner-Abendroth die matriarchale Mythologie von Indien über Westasien und den Mittelmeerraum bis Europa vor und entwickelte eine besondere Methode: Sie systematisierte die matriarchalen Muster und analysierte die Regeln, nach denen diese in frühen patriarchalen Perioden transformiert wurden. Sie zeigte, dass diese Muster später im Kontext der europäischen Zaubermärchen und der mittelalterlichen Literatur fortgeführt wurden.

 

Gimbutas, Marija. Die Sprache der Göttin. Das verschüttete Symbolsystem der westlichen Zivilisation.

Frankfurt: Verlag Zweitausendeins, 1995. (Original in Englisch, 1989).

Die litauisch-amerikanische Archäologin Gimbutas hat fünf wichtige Ausgrabungen in Südosteuropa durchgeführt, die zahlreiche neolithische Figurinen-Funde erbrachten, und sie hat Tausende von ihnen untersucht, die bis dahin unbeachtet und unverstanden in Museen und Magazinen schlummerten. Sie entschlüsselte ihre Symbolik und beschrieb das religiöse Weltbild der jungsteinzeitlichen Menschen. Sie stellte eine Verbindung zur späteren Göttinreligion in Europa her und nannte ihre Methode „Archäomythologie“.

 

Gimbutas, Marija /Dexter, Miriam Robbins. The Living Goddess, Berkeley-Los Angeles: University of California Press, 1999.

Dexter führte das Werk von Gimbutas posthum weiter und nahm die a rchäomythologische Methode auf, um weitere Verbindungen jungsteinzeitlicher Symbolik zu späteren Göttinnenkulten herzustellen.

 

Kailo, Kaarina. “Gender and Ethnic Overlap/p in the Finnish Kalevala.” In Himani Bannerji, Shahrzad Mojab, and Judith Whitehead, Hrsg. Of Property and Propriety: The Role of Gender and Class in Imperialism and Nationalism. Toronto: University of Toronto Press, 2001, 182–222.

Die finnisch-ugrische Wissenschaftlerin Kailo suche matriarchale Spuren in dem mittelalterlichen, finnischen Epos „Kalevala“ auf.

 

Kailo, Kaarina. “The Helka Festival: Traces of a Finno-Ugric Matriarchy and Worldview?” In: H. Goettner-Abendroth (Hg.), Societies of Peace, Toronto: Inanna Publications, 2009, 334-348.

Kailo fand ebenso Nachweise für Matriarchat in dem finnischen „Helka Fest“.

 

Kuokkanen, Rauna. “Indigenous Women in Traditional Economies: “The Case of Sami Reindeer Herding.” Signs: Journal of Women in Culture and Society 34.3, 2009, 499–503.

Die Ethnologin und Sozialkritikerin Kuokkanen, selbst Sami, gebrauchte das Beispiel der Rentier-Herdenhaltung ihrer Kultur, um die Idee der Schenke-Ökonomie zu erläutern, die in allen Matriarchaten zentral ist.

 

Annine van der Meer. The Language of MA, the Primal Mother, gedruckt in Holland: Eigenverlag, 2015.

Van der Meer führte die Forschung zu neolithischen Figurinen fort und erstellte eine Typologie der Posen und Haltungen der Figurinen, einschließlich deren Veränderungen in patriarchaler Zeit.

Forschung zu mündlichen Traditionen und zur Landschaftsmythologie

Mündliche Tradition und Landschaftsmythologie

Die Ablehnung von mündlichen Traditionen als unglaubwürdigen Geschichten und von symbolischer Landschaftsformung als nicht brauchbar für ernsthafter Forschung, wie in der westlichen Wissenschaft üblich, wird in der modernen Matriarchatsforschung nicht akzeptiert. Sie erkennt beide Bereiche als wertvolle Quellen an, insbesondere wenn sie von Menschen ihrer eigenen Kultur interpretiert werden.
Michael Dames 1976 und 1977/1996 eröffnete das Forschung zur Landschaftsmythologie in Südengland, indem er mündliche Quellen und Folklore mit Archäologie, vergleichenden Kulturstudien und der Linguistik lokaler geographischer Namen verband. Angeregt durch Dames gebrauchte Derungs 1997 und 2000 dieselbe Methode und schloss ausdrücklich die matriarchale Mythologie in seiner Forschung zur Landschaftsmythologie in der Schweiz ein. Die Archäologin Stella Souvatzi 2013 beschrieb, wie neolithische Menschen die Landschaft durch ihre dauerhaften Grabbauten zu einer sozialen umformten. Heide Göttner-Abendroth 2014 und 2016 entwickelte ausdrücklich die „matriarchale Landschaftsmythologie“, mit der sie Landschaften in Deutschland und den Alpenländern auf die Spuren von matriarchalen Kulturen hin untersuchte.

 

Dames, Michael. The Silbury Treasure: The Great Goddess Rediscovered. London: Thames&Hudson, 1976.

Mit diesem Buch begann Dames seine bahnbrechenden, landschaftsmythologischen Studien zu zwei bedeutenden Megalithstätten in Südengland. Er stellte zu dem Monument „Silbury Hill“ die neue Interpretation vor, dass dieser künstliche Hügel bewusst in der Form einer liegenden Göttin errichtet worden war.

 

Dames, Michael. The Avebury Cycle. London: Thames & Hudson, 1977/ 1996.

Bald darauf publizierte Dames eine neue Interpretation der monumentalen Steinkreise von Avebury Henge, die er als Bauten für die Verehrung der Großen Göttin sah. Dabei wies er die spirituelle Reichweite nicht nur der neolithischen Technologie nach, sondern auch der neolithischen Religiosität. Mithilfe von Volksbräuchen und Volkserzählungen in Südengland rekonstruierte er teilweise auch den Inhalt des religiösen Systems von Avebury.

 

Derungs, Kurt. Mythologische Landschaft Schweiz. Bern: Verlag Amalia, 1997.

Derungs prägte den Begriff „Landschaftsmythologie“, um seine methodische Verbindung von Archäologie, Mythologie und Folklore zu beschreiben. Er untersuchte einige Schweizer Landschaften, indem er archaische Elemente an Kultsteinen, in alten Kirchen und astronomischen Linien fand und im Kontext der matriarchalen Epoche interpretierte.

 

Derungs, Kurt. Landschaften der Göttin. Avebury, Silbury, Lenzburg. Bern: Verlag Amalia, 2000.

In Anlehnung an Dames deutete Derungs die Schweizer Landschaft Lenzburg ebenfalls als liegende Göttin. Er machte damit klar, dass matriarchale Kulturen die Landschaft symbolisch umzuformen pflegten, um darin eine göttliche Ahnfrau oder eine Landschaftsgöttin zu verehren.

 

Souvatzi, Stella. “Land Tenure, Social Relations and Social Landscapes”. In: Relaki, Maria/Catapoti, Despina, Hrsg.: An Archaeology of Land Ownership, New York-London: Routledge, Taylor&Francis, 2013.

Unabhängig von den vorigen Forschungen beschrieb die Archäologin Souvatzi, wie neolithische Menschen die Landschaft zu einer sozialen umformten. Über Generationen blieben die Grabbauten am selben Platz und dokumentierten als „Häuser ihrer Ahnen“ die Verbundenheit der Menschen mit der Landschaft, die für sie die Geschichte ihrer Clans enthielt und ihnen eine dauerhafte Identität sicherte. Die symbolisch-religiösen Eigenschaften der Landschaft blieben bei ihr allerdings unerwähnt.

 

Göttner-Abendroth, Heide. Matriarchale Landschaftsmythologie. Von der Ostsee bis Süddeutschland. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2014.

Göttner-Abendroth, Heide. Berggöttinnen der Alpen. Matriarchale Landschaftsmythologie in vier Alpenländern. Bozen/Südtirol: Raetia Verlag, 2016.

Auf dem Boden der modernen Matriarchatsforschung und anhand der von ihr geführten Studienreisen zu archäologischen Stätten entwickelte Göttner-Abendroth die matriarchale Landschaftsmythologie, mit der sie an konkreten Plätzen die Sozialordnung und Religion von neolithischen Kulturen in Zentraleuropa erklärte. Sie gebrauchte dieselbe interdisziplinäre Methode und legte ihre Forschung zu Landschaften in Deutschland und den Alpenländern in diesen zwei Büchern nieder.

Paläolinguistik

Auch die Paläo-Linguistik ist ein Gebiet, das interdisziplinär in der modernen Matriarchatsforschung verwendet wird, da sie auf die große Bedeutung der Frau in den frühesten Epochen der Menschwerdung verweist. Richard Fester zeigte 1962 und 1974, dass alle menschlichen Sprachen einen Ur-Wortschatz haben, der Mütterliches ausdrückt, was auf die führende Rolle der Frau bei der Entstehung von Sprachen verweist. Doris F. Jonas 1979 schrieb den wichtigen Gedanken nieder, dass sich Sprache aus der Innigkeit der Laute zwischen Mutter und Kind entwickelte, was der früheren Annahme widersprach, dass sie aus den Zurufen der Männer während der Jagd entstand. Harald Haarmann 2006 untersuchte die sprachlichen Fähigkeiten der frühesten Menschen und beschrieb, wie die sprachliche Vielfalt entstand, ebenso widmete er sich, in Anlehnung an den Sprachwissenschaftler J. P. Mallory vor ihm 1989 und 2006, der Entwicklung des Indoeuropäischen (siehe Mallory und Haarmann unter Europa - Forschung zur Patriarchatsentstehung).

 

Fester, Richard. Sprache der Eiszeit. Berlin-Grunewald: Herbig, 1962; derselbe: „Das Protokoll der Sprache“. In: Fester, R./König, M./Jonas, D. F./Jonas, A. D.: Weib und Macht, Frankfurt/Main: Fischer Verlag, 1979.

In seiner paläo-linguistischen Arbeit von 1962 zeigte Fester, dass in den meisten Sprachen der Welt die gleichen Wurzelsilben und Wurzelwörter direkt auf das Weibliche und das Mütterliche hinweisen. Er fand keine vergleichbaren Beispiele von Stammwörtern, die auf das Männliche hindeuten. Daraus schloss er 1979, dass Sprache zwischen Mutter und Kind entstand und das Weibliche von größer Bedeutung für die Sozialordnung der urzeitlichen Epochen war.

 

Jonas, Doris F.: Das erste Wort. Wie die Menschen sprechen lernten, Hamburg: Verlag Hoffmann und Campe, 1979.

Die Anthropologin Jonas hat zusammen mit ihrem Ehemann David A. Jonas ab 1970 mehrere Bücher publiziert, die der Entwicklung der Menschheit gewidmet sind, wobei Doris Jonas besonderes Augenmerk auf die Frau legte. Trotz guter Einsichten ist der sozio-biologische Ansatz problematisch.

Forschung zur Patriarchatsentstehung

Patriarchatsentstehung

Zur Entstehung von Patriarchat in Europa wurden etliche Erklärungen angeboten, doch nur sehr wenige sind mit den wissenschaftlichen Daten aus verschiedenen Fachbereichen in Einklang. Die Sprachwissenschaft hat sich lange mit der Herkunft der Indoeuropäer beschäftigt, wozu J. P. Mallory 1989 eine grundlegende Arbeit vorlegte, welche die Indoeuropäer als Viehzüchter aus den eurasischen Steppen beschreibt. In ihrem bahnbrechenden Werk - das wegen seiner Bedeutung hier nochmals aufgeführt wird - hat Marija Gimbutas 1991 eine Theorie zur Patriarchatsentstehung gegeben, die auf archäologischen Daten beruhend eine kriegerische Invasion der Indoeuropäer in Europa annimmt. Auch diese These von Gimbutas wurde heftig angegriffen und behauptet, dass die Indoeuropäer schon im Neolithikum als Ackerbauern in Europa eingewandert wären, was die Vorstellung von einer vor-indoeuropäischen, matriarchalen Epoche Europas hinfällig machen sollte (Colin Renfrew). Diese Behauptung stieß von Anfang an bei Sprachwissenschaftlern auf Kritik, wie J. P. Mallory/D. Q. Adams 2006 und Harald Haarmann 2006, die durch ihre Forschung die These von Gimbutas bestätigten. Bestätigung kam auch von der Archäologie der Steppe, so von David W. Anthony 2007, und neueste DNA-Analysen sorgten definitiv für Klarheit im Sinne von Gimbutas' Theorie; siehe W. Haak et al. 2015 und A. Goldberg et al. 2017. Unberührt von dieser Diskussion präsentierte James DeMeo 1998 seine Hypothese von der Patriarchatsentstehung in Zentralasien und der Sahara, die er mit ökologischen Argumenten wie der Bildung von Wüsten untermauerte. Cristina Biaggi 2005 stellte eine Anthologie zum Thema zusammen, die sowohl gut begründete wie unbegründete Thesen zur Patriarchatsentstehung enthält. Heide Göttner-Abendroth 2019 stützte sich bei ihrer Erklärung der Patriarchatsentstehung in Europa sowohl auf Gimbutas wie auf neuere Forschungen in der Archäologie und ebenso zur Ökologie und zeigte die ökologischen Folgen für Gesellschaften auf (siehe unter Europa – Archäologie).

 

Mallory, J. P. In Search of the Indoeuropeans. Language, Archaeology and Myth, London 1989, Thames&Hudson.

Der Sprachwissenschaftler Mallory bewies anhand früh-indoeuropäischer Wörter, welche die Verhältnisse der Steppe und die Viehzucht-Ökonomie bezeichnen, dass die Heimat der Indoeuropäer in den eurasischen Steppen lag. Sie sprachen im Zeitraum von 4.500-2.500 das frühe Indoeuropäisch.

 

Gimbutas, Marija. Die Zivilisation der Göttin. Die Welt des Alten Europa. Frankfurt: Zweitausendeins Verlag, 1996, Kapitel 10 (Original in Englisch, 1991).

Gimbutas beschrieb auf dem Boden ihrer archäologischer Analysen drei Invasionswellen von indoeuropäischen, berittenen Hirtenkrieger aus den eurasischen Steppen, die sich in weiträumigen Raubzügen bis nach Europa ausdehnten. Nach ihr endete der Zusammenprall dieser patriarchalen Kriegergruppen mit den altansässigen Ackerbaukulturen in gewaltsamer Landnahme und in der Zerstörung der matriarchalen Epoche Europas. Gimbutas bezeichnete ihre Erklärung als „Kurgan-Theorie“, ein Begriff, der wegen seiner Ungenauigkeit nicht allgemein angenommen wurde.

 

Mallory, J. P./Adams, D. Q. The Oxford Introduction to Proto-Indo-European and the Proto-Indo-European World, Oxford-New York: Oxford University Press, 2006.

Die Sprachwissenschaftler Mallory und Adams betonten, dass der frühe indoeuropäische Wortschatz sich auf nomadische Lebensweise und Viehhaltung bezieht, aber keine Vokabeln für Ackerbau enthält. Erst ziemlich spät kamen Wörter für Ackerbautätigkeiten zu dem indoeuropäischen Wortschatz hinzu, und zwar durch Akkulturation mit der agrarischen Vorbevölkerung Europas.

 

Haarmann, Harald. Weltgeschichte der Sprachen. München: Beck Verlag, 2006.

Haarmann untersuchte die sprachlichen Fähigkeiten der frühesten Menschen und beschrieb Art und Weise, wie sich die Vielfalt der Sprachen entwickelte. Insbesondere betonte er die Entwicklung und Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen und zeigte, dass sie eine spätere Schicht über den vor-indoeuropäischen Sprachen bildeten. Damit bestätigte er ausdrücklich Gimbutas' Theorie der Eroberung Alt-Europas durch indoeuropäische Migrationswellen aus der paläo-linguistischen Perspektive.

 

Anthony, David W. The Horse, the Wheel, and Language. How Bronze Age Riders from the Eurasian Steppes shaped the Modern World, Princeton & Oxford: Princeton University, 2007.

Anthonys Buch ist ein hervorragendes Werk zur Archäologie der eurasischen Steppen. Er bewies, dass Pferde zuerst in Kulturen am Ural gezähmt und geritten wurden, ferner dass die Zunahme von Status-Symbolen, wie lange Feuersteindolche, Steinäxte und „Pferdekopf-Szepter“, die in Einzelgräbern von Männern gefunden wurden, auf eine männerdominierte Hirtenkultur hinweist, die er mit den Indoeuropäern identifizierte. Später kam ein monopolisierter Metall-Handel in den Händen der Häuptlinge hinzu, deren Macht zuletzt durch die neue Waffe des Streitwagens enorm anstieg.

 

Haak, W. et al. “Massive migration from the steppe was a source for Indo-European languages in Europe”. In: Nature, Bd. 522, 11. Juni 2015.

Goldberg, A./Günther, T./Rosenberg, N. A./Jakobsson, M. “Ancient X chromosomes reveal contrasting sex bias in Neolithic and Bronze Age Eurasian migrations”, W. Haak (Hg.), Max Planck Institute for the Science of Human History, Jena/Deutschland, 12. Januar 2017. In: https://www.nature.com/articles/nature14317.

Diese DNA-Analysen von Haak et al. und von Goldberg/Günther/Rosenberg/ Jakobsson haben völlige Klarheit gebracht, denn sie stellten zwei große Einwanderungsströme nach Europa fest: erstens, eine massenhafte neolithische Einwanderung aus Anatolien im 7. Jt. von Männern und Frauen, die keine Indoeuropäer waren; zweitens, ab 3.500 starke Invasionswellen von Indoeuropäern, wobei diesmal fast nur Männer ankamen, die neue Technologien besaßen: Waffen und Gegenstände aus Bronze. Die Ergebnisse der DNA-Analysen bestätigten Gimbutas' Migrations-Theorie definitiv.

 

DeMeo, James. Saharasia: The 4000 BCE Origins of Child Abuse, Sex-Repression, Warfare and Social Violence in the Deserts of the Old World, Greensprings/Oregon: Orgone Biophysical Research Lab., 1998.

DeMeo führte in seiner umfangreichen Studie den ökologischen Faktor ein und zeigte, dass Katastrophen wie Wüstenbildung und die gesellschaftlichen Folgen zu Patriarchalisierung führen können. Er verfolgte die These, dass Hunger zu Gewalt und damit zu Patriarchat führt. Diese These wurde als zu einfach kritisiert, da patriarchale Gesellschaften mit Krieger-Eliten keine Hungergesellschaften, sondern wohlorganisiert waren, um sich gegen andere Kulturen durchzusetzen.

Seine These würde auch nur für die eurasischen Steppen zutreffen, aber nicht für die Wüste Sahara.

 

Biaggi, Cristina, Hg. The Rule of Mars: Readings on the Origins, History and Impact by Patriarchy

Manchester: KIT (Knowledge, Ideas & Trends), 2005.

Biaggi präsentierte in ihrer Anthologie eine große Vielfalt an Perspektiven und mehr oder weniger gut begründeten Erklärungen für die Entstehung des Patriarchats, ebenso eine Diskussion zu den inneren Prinzipien dieser Gesellschaftsform.

Forschung zu Gesellschaften mit matriarchalen Resten

Gesellschaften mit matriarchalen Resten

Kelten

Die Kelten wurden wegen der Stellung der keltischen Frau oft mit „Mutterrecht“ verknüpft, was eine gewisse Verwirrung gestiftet hat. Heinrich Zimmer 1894 rekonstruierte die Sozialordnung der Pikten, während Josef Weisweiler 1939 die Inselkelten untersuchte. Jean Markale 1972 legte den Schwerpunkt auf die keltische Mythologie. Harry Mountain 1998 nannte die Kelten in seinem umfangreichen Werk „matriarchal“, während Claire French-Wieser 2001 in ihrer kritischen Studie die Herabwürdigung von Göttinnen bei den Kelten analysierte.

 

Zimmer, Heinrich. Das Mutterrecht der Pikten, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanische Abteilung, Bd. 15, Weimar: Böhlau Verlag, 1894.

Zimmer gelang es, die matriarchale Sozialordnung der Pikten aufzufinden, wobei die Pikten allerdings nicht zu den „Kelten“, sondern zur vor-keltischen Urbevölkerung gehörten.

 

Weisweiler, Josef. Die Stellung der Frau bei den Kelten und das Problem des „Keltischen Mutterrechts“,  Zeitschrift für keltische Philologie, Bd. 21, Halle: Niemeyer Verlag 1939.

Weisweiler präsentierte die großartigen Dinge, die über die Inselkeltinnen erzählt wurden, wie mächtige Königinmütter, regierende Königinnen, die nach dem Tod ihres Gatten das Heer führten, ebenso einflussreiche Schiedsrichterinnen und Priesterinnen. Er zeigte, dass diese Erscheinungen jedoch auf die Britischen Inseln beschränkt blieben und dort auf seltene Ausnahmen in der herrschenden Schicht, während der Status der gewöhnlichen Frau nicht der beste war.

 

Jean Markale. Die keltische Frau, München: Trikont-Verlag, 1984 (Original in Französisch 1972).

Markale legte den Schwerpunkt auf keltische Mythologie und Bräuche, die zahlreiche Hinweise auf ein vor-keltisches Matriarchat enthalten. Er verortete die keltische Kultur zwischen Matriarchat und Patriarchat, wobei diese Begriffe bei ihm unklar bleiben.

 

Mountain, Harry. The Celtic Encyclopedia. 5 Vols. Aveiro, Portugal: Unpublish. Com, 1998.

Mountain nannte die Kelten “matriarchal”, indem er in seiner fünfbändigen Enzyklopädie diverse kulturelle Elemente verallgemeinerte. Wie bei ihm wird in der heutigen Diskussion eine matriarchale Interpretation der Kelten favorisiert, die aufgrund einer unklaren Definition sehr problematisch ist.

 

French-Wieser, Claire. Als die Göttin keltisch wurde. Ursprung und Verfall einer alteuropäischen Mythologie, Bern: Edition Amalia, 2001.

In ihrer kritischen Analyse der „Vier Zweige des Mabinogi“ hat French-Wieser hervorragend herausgearbeitet, wie die sukzessive Herabwürdigung und Demütigung von Göttinnen bei den Kelten stattfanden und wie das Weiblich-Göttliche demontiert wurde, bis es zu einer künstlichen Figur aus der Hand eines männlichen Zauberers geworden war.

 

Germanen

Auch für die Germanen wurde „Matriarchat“ behauptet, so schon 1920 von William Albert Aron. Vorsichtiger als Aron stellte Jakob Amstadt 1994 die Stellung der Frau bei den Germanen gemäß dem Eherecht dar und zeigte „matriarchale Spuren“ in der Mythologie auf.

 

Aron, William Albert. Traces of Matriarchy in Germanic Hero-Lore. Madison: University of Wisconsin Studies in Language and Literature, Nr. 9, 1920.

Aron ging den Spuren des Matriarchats in germanischen Heldenerzählungen nach und erhob den zu seiner Zeit kühnen Anspruch, dass die „Existenz des Matriarchats“ in Alt-Germanien „kaum bestritten werden konnte“. Er vermutete, dass das Matriarchat damals in Germanien „viel weiter verbreitet“ war, als es die westliche Wissenschaft wahrhaben wollte. Aber seine unklaren Begriffe vermischten matriarchale Kulturen mit indoeuropäischen Kriegerkulturen.

 

Amstadt, Jakob. Die Frau bei den Germanen, Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 1994.

Amstadt zeigte, dass germanische Frauen der Oberschicht Priesterinnen werden konnte und den Kultgemeinschaften vorstanden, während die gewöhnlichen Frauen nach germanischem Sippenrecht abhängig und unfrei blieben. Bei seiner Analyse germanischer Mythologie stützte er sich auf Göttner-Abendroth, die schon 1980 gezeigt hatte, dass diese eine ältere, vor-germanische, matriarchale Schicht enthält (siehe unter Mythologie-, Symbol- und Religionsforschung).

 

Räter

Karl Felix Wolff 1913 hat als erster den Sagenschatz der Räter/Ladiner in den Dolomiten gesammelt und niedergeschrieben, einschließlich des Fanes-Zyklus, dessen matriarchaler Gehalt aber nicht von ihm, sondern von Claire French-Wieser 1975 erkannt wurde. Ulrike Kindl 1983 und 1997 arbeitete den matriarchalen Kern des Fanes-Zyklus und anderer Dolomiten-Sagen wissenschaftlich heraus. Christian Caminada 1992 sammelte Bräuche, Sagen und Lieder mit matriarchalen Elementen in den rätischen Gebieten der Schweiz.

 

Wolff, Karl Felix. Dolomitensagen, Innsbruck-Wien-München: Tyrolia-Verlag, 1957, 9. Auflage (zuerst 1913).

Wolff schrieb als erster die Sagen der Dolomiten einschließlich des Fanes-Zyklus nieder, aber er entstellte diesen bemerkenswerten Zyklus durch seine eigene romantisierende Version, die obendrein durch seine Klischees von den Geschlechterrollen patriarchal verzerrt ist.

 

French-Wieser, Claire. „Das Reich der Fanes. Eine Tragödie des Mutterrechts“, in: Der Schlern, Bozen: Verlag Athesia, 1975.

French-Wieser durchschaute die patriarchalen Zutaten von Wolff und erkannte als erste den matriarchalen Gehalt des Sagenzyklus vom Fanes-Königinnenreich in den Dolomiten und dessen Untergang.

 

Kindl, Ulrike. Kritische Lektüre der Dolomitensagen von Karl Felix Wolff, 2 Bde., San Martin de Tor:

Institut Cultural Ladin, 1983 und 1997.

Kindl arbeitete den matriarchalen Gehalt der Sagen um das Fanes-Reich und seiner Königinnen wissenschaftlich heraus und zeigte, dass diese Sagen einen historischen Kern enthalten, der auf die frühen Geschichte der Ladiner hinweist.

 

Caminada, Christian. „Das Rätoromanische St. Margaretha-Lied“, in: Christian Caminada: Graubünden. Die verzauberten Täler. Die urgeschichtlichen Kulte und Bräuche im alten Rätien, Disentis: Desertina Verlag, 1992.

Der Rätoromane Caminada schrieb die Bräuche und Kulte in seiner Schweizer Heimat nieder, die weitere Elemente der frühen Geschichte der Räter enthalten. Von besonderer Bedeutung ist darin das rätoromanischen Margaretha-Lied, in welchem die Göttin der Räter noch in späterer Gestalt erscheint.

 

Sarden

Die kunstvolle Megalithkultur auf der Insel Sardinien beschrieben die Autoren Bürge/Minoja/Reusser/Salis/Usai 2016, jedoch ohne auf die frühe Geschichte und Sozialordnung der Sarden, eines vor-indoeuropäischen Volkes, einzugehen. Die Darstellung der neolithischen, matriarchalen Kultur der Sarden und ihrer Verschmelzung mit den ebenfalls vor-indoeuropäischen Ligurern findet sich bei Marija Gimbutas (siehe unter Europa - Archäologie). Die Ursprungslegende der Sarden, gesammelt und nacherzählt von Francesco Enna 1994, bestätigt die matriarchale Verbindung der beiden Völker in Sagengestalt.

 

Bürge/Minoja/Reusser/Salis/Usai (Hg.). Sardinien. Land der Türme, Ausstellungskatalog der Universität Zürich, Zürich: Universität Zürich, 2016.

Die Autoren dieses Kataloges stellten die bronzezeitliche Kultur der Sarden anhand der Tausende von Rundtürmen dar, welche die Insel überziehen. Sie schlossen die Vorformen und den sakralen Gebrauch dieser Türme ein, ebenso die Brunnenheiligtümer und Megalithgräber.

 

Enna, Francesco. Miti, Leggende e Fiabe della tradizione popolare della Sardegna, Sassari: Carlo Delfino editore, 1994.

Diese Sammlung sardischer Mythen und Sagen enthält die sehr interessante Ursprun gslegende der Sarden: „La leggenda di Norace“ (auf Sardisch: „Sa fabula de Noraxi“), welche die archäologisch festgestellte Verbindung des matriarchalen Urvolkes mit den Megalithen bauenden Ligurern bestätigt und auf matriarchale Sitten hinweist.

 

Basken

In seiner groß angelegten Enzyklopädie sammelte und präsentierte Jose Miguel de Barandian 1973 die bemerkenswerten, mündlichen Traditionen der Basken. Michel Lamy 1980 zeichnete die uralte Geschichte dieses Volkes nach, die mindestens bis zur Jungsteinzeit zurückgeht. Isaure Gratacos 1987

hat die Fakten zur gegenwärtige Sozialordnung der Basken in ihrer hervorragender Feldforschung zusammengetragen.

 

Barandian, Jose Miguel de. Obras completas, Eusko-Folklore, Band I und II, La Gran Enciclopedia Vasca, Bilbao 1972 und 1973.

Barandian stellte in seinem umfangreichen Werk die gesamten mündlichen Traditionen der Basken vor, welche Mythologie, Sagen und Bräuche umfassen. Sie beinhalten unter vielem anderen sehr archaische Göttinvorstellungen, einen ausgeprägten Feenglauben und einen Mondkalender, der bis ins 20. Jh. galt. Daraus rekonstruierte er die Religion der alt-baskischen Kultur.

 

Lamy, Michel. Histoire Secrète du Pays Basque, Paris: Edition Albin Michel, 1980.

Lamy bewies anhand der Sprache und der Traditionen der Basken, dass ihre Geschichte mindestens bis zur Jungsteinzeit zurückgeht, denn ihre Sprache ist vor-indoeuropäisch und einzigartig in Europa und ihr Werkzeug-Vokabular stammt direkt aus der Steinzeit. Er wies darauf hin, dass schon die mesolithischen Einheimischen in Spanien einen eigenen Entwicklungsweg nahmen und dass die Basken wohl nicht zufällig im Grenzgebirge zwischen Frankreich und Spanien mit den zahlreichen altsteinzeitlichen Höhlenmalereien wohnen.

 

Gratacos, Isaure. Femmes Pyrénéennes, Toulouse: Editions Privat, 1987.

Gratacos, selbst Baskin, widmete ihre Forschung der gegenwärtigen Sozialordnung der Basken, die über Jahrtausende matriarchal gewesen ist, worauf noch einige Muster hinweisen. Sie zeigte, dass es bei den Basken keinen Vaternamen, sondern den Namen des Hauses gibt, der früher wohl der Name des mütterlichen Clans war. Heute ist in jeder Generation die erstgeborene Person Alleinerbe oder Alleinerbin von Haus und Land, was die Jüngeren wirtschaftlich und politisch benachteiligt.

Von einer egalitären, matriarchalen Sozialordnung kann daher heute nicht mehr gesprochen werden.